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Netzneutralität in der Netzpolitik

Wann immer es um technische Dinge geht, darf man sich traditionell darauf verlassen, dass unsere geliebten Politiker mit ununterbietbarer Kompetenz aufwarten. Das wäre ja eigentlich nicht weiter dramatisch, wenn nicht die selben Neuland-Politiker auch darüber entscheiden würden, was man in diesem schönen Lande zum Wohle des Volkes mit der Technik machen darf - und was nicht. Beim Thema Netzneutralität beispielsweise geht es darum, ob Provider bestimmte Dienste im Internet bevorzugen dürfen. Bevorzugen heißt hier konkret, es werden die Datenpakete eines privilegierten Dienstes mit mehr Bandbreite durch das Netz geroutet als andere Datenpakete. Weil die Bandbreite im Netz begrenzt ist, haben die unpriviligierten Datenpakete dann das Nachsehen, denn sie kommen umso stärker verzögert durch, je mehr Bandbreite für Datenpakete von privilegierten Diensten beansprucht wird. Soweit klar? Jetzt könnte man natürlich einfach die Bandbreite insgesamt erhöhen, so dass alle Dienste stets genug Bandbreite haben. Das würde man Netzausbau nennen und ist verdammt-noch-mal eigentlich der Job der Provider. Eigentlich. Denn de facto läuft es so, dass die Kosten hierfür allzu oft von Gemeinden (also der Gesellschaft und den Steuerzahlern) übernommen werden, um wenigstens von einem Steinzeitzustand auf eine halbwegs zeitgemäße Netzanbindung zu kommen. Die Provider hingegen nutzen den Umstand der Bandbreitenverknappung derweil für ein ganz eigenes Geschäftsmodell: Sie verlangen von Diensteanbietern (wie z.B. Google, Facebook, Instagram, usw.) Geld um deren Datenpakete bevorzugt im Netz zuzustellen. Wer nicht mitmacht hat verloren, denn dessen Dienst kommt dann mit dem Rest der Bandbreite nur noch tröpfelnd durchs Internet. Die bevorzugten Dienste sind dann superschnell und ruckelfrei - und der große, traurige Rest krepst mit elendig langen Ladezeiten vor sich hin. Ist das im Sinne des Volkes? Wohl kaum. Und heute dachte ich, jetzt endlich hat das unsere geliebte Bundesregierung auch mal verstanden - der Regierungssprecher verkündet: Innerhalb der Bundesregierung besteht Einigkeit, dass Anbieter elektronischer Kommunikation alle im offenen Internet übertragenen Datenpakete gleich ohne Berücksichtigung des Absenders, des Empfängers, der Art des Inhalts, Dienstes oder auch der Anwendung behandeln sollen. Das ist der Inhalt der Netzneutralität. Jo. Ein historischer Moment: ich stimme der Regierung zu ;-) Aber dann, im direkt nächsten Satz: Dieser Grundsatz steht im Einklang damit, dass man Spezialdienste ermöglicht. Sehr geehrter Herr Regierungssprecher, liebe Bundesregierung, NEIN! Spezialdienste können nicht im Einklang mit Netzneutralität stehen - Spezialdienste sind das exakte Gegenteil. Ein Netz ist entweder neutral oder ist es nicht. Es kann nicht ein bisschen neutral sein. Oder eigentlich neutral mit Ausnahmen sein. Es mag in der Politik Usus sein, Kompromisse zu finden, Ausnahmen zu definieren, Sonderregeln und Hintertürchen zu haben - hier ist das aber schon auf technischer Ebene einfach unsinnig und widerspricht dem Grundgedanken. tl;dr - um das mal zusammenzufassen: entweder die Bundesregierung lügt uns glatt ins Gesicht oder sie plappert nach, was ihr diverse Einflüsterer gesagt haben und hat selber keine Ahnung. Ich weiß echt nicht, was schlimmer ist, aber in Anbetracht der sonstigen Regierungsqualität abseits dieses Themas tendiere ich zu Letzterem. Vorerst. PS: Im Übrigen befürchte ich, dass Ausnahmen für wenige Dienste (Merkel bemüht immer das schlechte Beispiel des fahrerlosen Autos) sehr schnell ausgeweitet würden auf alles Mögliche und - ganz besonders - auf alles was angeblich Arbeitsplätze schafft oder "für den Standort Deutschland alternativlos" ist. So dass die Provider letztlich ihr bisheriges perfides Geschäftsmodell einfach weiterführen könnten.